Rechtsanwalt Frank Durda Hoyerswerda

Das Wechselmodell, Rechtsprechung, unherhaltsrechtliche Auswirkungen, Melderecht, Kindergeld, Unterhaltsvorschuß

I. Allgemeines
Solange die Eltern die gemeinsame elterliche Sorge ausüben, können sie bei der Ausgestaltung des Umgangs zwischen beliebigen Kinderbetreuungsmodellen wählen, ohne dass der Staat sich in Form von Jugendamt oder Gericht einmischt. Als Bezeichnungen für drei typische Modelle haben sich das sogenannte Residenz-, das Nest- und das Wechselmodell etabliert.

Eingliederungsmodell oder Residenzmodell

Eingliederungsmodell oder Residenzmodell heißt, dass das Kind in einen Haushalt fest eingegliedert ist und dort seinen Lebensmittelpunkt hat. Ein Elternteil ist die Hauptbezugsperson, der andere der Besuchselternteil. Das ist nach wie vor das am häufigsten praktizierte Modell, insbesondere wenn die Eltern auch in der Phase des Zusammenlebens keine paritätische Rollenaufteilung in Bezug auf die Kinderbetreuung hatten. Insofern setzt sich nach der Trennung das Modell fort, das ursprünglich gewählt worden war. Der Umfang, in dem die Kinder sich beim Umgangsberechtigten aufhalten, variiert dabei von 0–49,9 % – im letzteren Fall bezeichnet man dies als „erweiterten Umgang“, und ab genau 50 % als „echtes Wechselmodell“.

Nestmodell

Nestmodell heißt, dass die Kinder in der früheren Familienwohnung verbleiben, die Eltern dort abwechselnd nach einem festen Betreuungsplan (z.B. wochenweise wechselnd) die Betreuung übernehmen und sich außerhalb dieser Zeiten in anderen Wohnungen aufhalten. Eltern, die beide im Schichtdienst arbeiten, finden häufig gar keine bessere Lösung ohne Einbeziehung Dritter. Dasselbe gilt für Eltern von vielen Kindern in großer Altersspanne, für die der Umgangsberechtigte gar keinen Wohnraum für Besuchskontakte vorhalten könnte. Auch für Eltern, die gemeinsames Wohneigentum zusammen behalten wollen, bis die Kinder ihm entwachsen sind, stellt sich dies häufig als brauchbare Lösung dar. Für Kinder, die zu beiden Eltern eine gute Bindung haben, ist dies der Königsweg, weil sich ihr Alltag im Vergleich zu der Zeit vor der Trennung nur wenig verändert. In diesem Modell nehmen nicht die Kinder die Lästigkeiten des Pendelns zwischen zwei Zuhause auf sich, sondern die Eltern. Den Eltern verlangt dies aber viel ab – Stichwort Privatsphäre – und es scheitert häufig dann, wenn neue Partner, mit denen man dauerhaft zusammen wohnen möchte, oder später gar weitere Kinder ins Spiel kommen. Rechtsprechung zu diesem Modell sucht man vergebens, weil offenbar dieser Typus Eltern über ausreichend Autonomie zur einvernehmlichen vertraglichen Lösung verfügt.

„Echtes“ Wechselmodell oder Doppelresidenzmodell. Als „echtes“ Wechselmodell oder Doppelresidenzmodell wird die Lebensform bezeichnet, bei der die Kinder „in einer genauen 50-%-Aufteilung zwischen den beiden elterlichen Haushalten pendeln. Die Erscheinungsformen sind so vielfältig wie das Leben vor der Trennung. Bei manchen Familien pendeln die Kinder wochenweise. Andere haben einen Rhythmus, der auf die elterlichen beruflichen Verpflichtungen oder auf den Terminkalender der Kinder abgestimmt ist. Wissenschaftlich gibt es dazu Untersuchungen und Experten – mit Pro- und Contra- Argumenten, wobei dabei eine Entwicklung zu beobachten ist, in der die pauschalen Contra- Argumente durch positive Erfahrungen in anderen europäischen Ländern und entsprechende Studien zunehmend entkräftet werden. Gesetzlich jedoch befinden sich diese Familien noch in einem weitgehend ungeregelten System. Das gesetzliche Stereotyp der Nachtrennungsfamilie ist immer noch das Residenzmodell. Das beginnt mit der Anmeldung beim Einwohnermeldeamt: Zwei gleichberechtigte Wohnsitze gibt es nicht. Auch gegenüber der Familienkasse muss der Bezugsberechtigte angegeben werden – eine hälftige Zahlung an beide gibt es nicht. Die „Düsseldorfer Tabelle“ setzt das Residenzmodell voraus.

Allerdings nehmen die Fälle in der Praxis zu, immerhin gibt es inzwischen Rechtsprechung zu diesem Thema. Die Vor- und Nachteile und die praktischen Machbarkeiten zu diskutieren, gehört bei der außergerichtlichen Trennungs- und Scheidungsvereinbarung in die Hände der Eltern. Sie können sich dazu fachlichen Rat holen. Vorsicht ist geboten, wenn Jugendamtsmitarbeiter betonen, dass sie „noch nie“ erlebt hätten, dass ein Nest- oder Wechselmodell in der Praxis funktioniere. Die Eltern, bei denen das Modell gut klappt, haben niemals Grund, beim Jugendamt vorzusprechen. Sie leben sozusagen friedlich im Verborgenen. Damit erklärt sich die selektive Wahrnehmung von „Professionellen“, auch von Anwälten und Richtern, die das Wechselmodell als untauglich erklären: Nur die Modelle, die scheitern, landen auf deren Schreibtischen. In Mediatorenkreisen hingegen hört man öfter von sehr guten Lösungen, die damit für Kinder geschaffen werden können. Daher sollte auch der Anwalt sich nicht anmaßen, seinem Klienten das „Wechselmodell“ auszureden, nur weil unter seiner Mandantschaft noch keine guten Erfahrungen damit gemacht wurden.

Entwicklung in Europa

Ein Blick über den Tellerrand in andere europäische Länder zeigt: Auf Basis des dort sehr ausgeprägten Fremdbetreuungssystems von Kindern ist dort schon vor einer Trennung seltener ein Elternteil die Hauptbezugsperson. Häufig arbeiten beide vollschichtig und teilen sich die Verantwortung für die Kinder paritätisch. Folglich ist dort das Wechselmodell nach der Trennung die gesetzliche Regel und das Residenzmodell die begründete Ausnahme. Diese Entwicklung steht nach Auffassung der Autorin auch Deutschland bevor und wird durch politisch gewollte Ganztagskindergärten und -schulen sowie durch das Ehegattenunterhaltsrecht langfristig be-günstigt. Im Gegensatz dazu setzt das aktuelle Kindesunterhaltsrecht noch Fehlanreize gegen das Wechselmodell.

Schon im Jahr 2015 hat der Europarat eine Resolution unterzeichnet, nach der die Gesetzgebung aller Mitgliedstaaten diesen Paradigmenwechsel abbilden soll. Die Parlamentarische Versammlung des Europarats verabschiedete unter dem Titel „Gleichstellung und gemeinsame elterliche Verantwortung: die Rolle der Väter“ die einstimmig angenommene Entschließung 2079. In der Regel soll danach das Wechselmodell die „natürliche Folge“ einer Trennung von Eltern sein, so dass derjenige, der das nicht praktizieren möchte, dafür Gründe anführen muss. Genannt werden „nur“ Kindesmisshandlung, Vernachlässigung oder häusliche Gewalt als Kontraindikatoren.

Der Europarat begründet dies damit, dass die Entwicklung gemeinsamer Obsorge helfe, Geschlechterstereotypen in Bezug auf die Rolle von Frauen und Männern in der Familie zu überwinden, welche lediglich ein Spiegelbild der soziologischen Veränderungen darstelle, wie sie sich in den letzten fünfzig Jahren in Hinblick auf die Privat- und Familiensphäre entwickelt habe. Der Europarat will auch, dass die Gerichte verpflichtet werden, Eltern darüber zu informieren, dass das Wechselmodell eine sinnvolle Option im Interesse des Kindes darstelle. Deutschland hat die Resolution noch nicht in Gesetze umgesetzt. Allerdings hat dies die politische und gesellschaftliche Diskussion bereits beeinflusst.

Praxistipp:

Wer sich detailliert mit dem Wechselmodell befassen möchte, ist auf der Homepage www.doppelresidenz.org gut aufgehoben, die als Projekt von interdisziplinären Fachleuten betrieben wird, die dem Wechselmodell fördernd verbunden sind. Noch allerdings ist die Praxis in Deutschland stark davon geprägt, dass Väter auch vor der Trennung nur nachrangig für die Betreuung der Kinder zuständig sind.

Rechtsprechung:

Die Rechtsprechung hat inzwischen auf die Existenz der Wechselmodelle reagiert. Der BGH hatte in seiner Entscheidung vom 01.02.2017 (XII ZB 601/15, FamRZ 2017, 532) Neuland betreten, indem er für möglich hält, dass ein Gericht als Umgangsregelung ein Wechselmodell anordnet. Das war vorher von den Oberlandesgerichten für unmöglich gehalten worden. Es galt der Grundsatz, dass ein Wechselmodell eine gute Kooperation erfordere, und dass die Tatsache eines streitigen Gerichtsverfahrens bereits belege, dass diese Kooperationsfähigkeit nicht vorhanden sei. Damit konnte jeder Elternteil durch schlichtes „Veto“ einseitig verhindern, dass er sich mit dem Wechselmodell näher auseinandersetzen musste.
Der BGH hat dem Wechselmodell eine Tür geöffnet, indem es zumindest als gleichberechtigt neben jedem anderen Modell zu prüfen sei. Noch nicht mitgegangen ist der BGH den europäischen Weg des grundsätzlichen Vorrangs.
Vom Gesetzeswortlaut sei – entgegen der Auffassung aller zuvor veröffentlichten Entscheidungen – auch eine Betreuung des Kindes durch hälftige Aufteilung der Umgangszeiten auf die Eltern erfasst (BGH, Beschl. v. 01.02.2017 – XII ZB 601/15, FamRZ 2017, 532, Rdnr. 15 ff.). Zwar orientiere sich die gesetzliche Regelung am Residenzmodell, also an Fällen mit überwiegender Betreuung durch einen Elternteil bei Ausübung eines begrenzten Umgangsrechts durch den anderen Elternteil; dies besage aber nur, dass der Gesetzgeber die praktisch häufigste Gestaltung als tatsächlichen Ausgangspunkt der Regelung gewählt habe, nicht hingegen, dass er damit das Residenzmodell als gesetzliches Leitbild festlegen wollte, welches andere Betreuungsmodelle ausschließe (BGH, Beschl. v. 01.02.2017 – XII ZB 601/15, FamRZ 2017, 532, Rdnr. 18). Dass ein Streit über den Lebensmittelpunkt des Kindes auch die elterliche Sorge und als deren Teilbereich das Aufenthaltsbestimmungsrecht betrifft, spreche jedenfalls nicht gegen die Anordnung des Wechselmodells im Wege einer Umgangsregelung (BGH, Beschl. v. 01.02.2017 – XII ZB 601/15, FamRZ 2017, 532, Rdnr. 19). Eine zum paritätischen Wechselmodell führende Umgangsregelung sei anzuordnen, wenn die geteilte Betreuung durch beide Eltern im Vergleich mit anderen Betreuungsmodellen dem Kindeswohl im konkreten Fall am besten entspreche (BGH, Beschl. v. 01.02.2017 – XII ZB 601/15, FamRZ 2017, 532, Rdnr. 27). Für Verhandlungen zwischen Eltern hat dieser Rechtsprechungswandel erhebliche Bedeutung, weil er nicht länger den Vater, der die Kinder nach der Trennung zu 50 % betreuen möchte, zum Bittsteller ohne Erfolgsaussicht im Streitfall macht.

Wechselmodell und Anforderungen an Kooperationsbereitschaft:

Nicht mehr eindeutig zu bejahen ist inzwischen sogar, ob das Wechselmodell wirklich höhere Anforderungen an die Kooperationsbereitschaft und -fähigkeit der Eltern stellt als das Residenzmodell. Diese Argumentation hatte sich oft als „Totschlagargument“ bewährt und dazu geführt, dass derjenige, der das Wechselmodell verhindern wollte, sich maximal unkooperativ verhielt, um dafür mit dem Residenzmodell „belohnt“ zu werden. Nach einem Beschluss des OLG Brandenburg ist das Wechselmodell bei mangelnder Elternkommunikation allerdings abzulehnen. Der Senat führt aus: „Das Wechselmodell kann nur dann in Betracht gezogen werden, wenn die Eltern in der Lage sind, ihre Konflikte einzudämmen, beide hochmotiviert und an den Bedürfnissen ihres Kindes ausgerichtet sind und kontinuierlich und störungsfrei miteinander kommunizieren und kooperieren können und wollen“ (OLG Brandenburg, Beschl. v. 21.02.2019 – 9 UF 227/18, BeckRS 2019, 3193).
Diese Strategie geht dann nicht mehr auf, wenn Richter, Jugendamt, Verfahrensbeistand und Gutachter sich vorurteilsfrei mit den Thesen von Prof. Sünderhauf befasst haben, die ein Standardwerk über das Wechselmodell verfasst hat („Wechselmodell: Psychologie – Recht – Praxis, 2013“, Kurzfassung in FamRB 2013, 290 „Vorurteile gegen das Wechselmodell: Was stimmt, was nicht?“) und darin aufzeigt, warum Kommunikation und Kooperation in allen Elternbeziehun-gen wünschenswert ist, deren Fehlen in allen Fällen kindeswohlschädlich ist, sich daran aber kein Argument gegen das Wechselmodell insbesondere anknüpfen lässt.
Ähnlich argumentiert ein Großteil der jüngeren, obergerichtlichen Rechtsprechung: Die Kooperationsbereitschaft und -fähigkeit der Eltern sei auch nach der Entscheidung des BGH keine „Tatbestandsvoraussetzung“ für das Kindeswohl. Stattdessen sollen die in Betracht kommenden Modelle auf Vor- und Nachteile untersucht und gegeneinander abgewogen werden (OLG Dresden, Beschl. v. 12./14.04.2022 – 21 UF 304/21, FamRZ 2022, 1206 = BeckRS 2022, 6025, Rdnr. 11; KG, Beschl. v. 30.04.2018 – 19 UF 71/17, FamRZ 2018, 1324 = BeckRS 2018, 20660, Rdnr. 24; OLG Bamberg, Beschl. v. 01.03.2019 – 7 UF 226/18, NZFam 2019, 574, 576).
Fälle aus der Praxis belegen gar, dass die Reduzierung von Wechseln zwischen den Haushalten auf einmal wöchentlich, die klare zeitliche Zuständigkeit und die Aufhebung eines – so empfundenen – Machtgefälles der Eltern befriedende Wirkung auch in den Fällen haben, die vorher hocheskalativ waren.

Praktische Hürde bei Umsetzung des Wechselmodells:

Allerdings gibt es äußere Umstände, die das Modell begünstigen und deren Fehlen eine erhebliche praktische Hürde bei der Umsetzung des Wechselmodells bedeutet. Dazu zählt:

  • die Wohnungen der Eltern liegen so nah beieinander, dass das Kind in entsprechendem Alter alle Wege, auch zur Schule, zu Freunden, zu Hobbys selbständig zurücklegen kann;
  • die Eltern sind bereit, dem Kind anfangs organisatorisch beiseite zu stehen und ihm allmählich und altersgerecht die Eigenverantwortung hierfür zu übertragen;
  • die finanziellen Verhältnisse beider Eltern lassen zu, dass beide Wohnungen mit Kinderzimmern ausgestattet sind und das Kind Mehrausstattung an Bekleidung etc. hat;
  • die Eltern sind bereit, ihre Störungen auf der Paarebene auszublenden, wenn sie Vereinbarungen auf der Elternebene treffen müssen. Sie sind bereit zu einem Austausch über Alltags- und Erziehungsfragen und bringen ihr Kind nicht in die Rolle des Botschafters;
  • die Eltern wertschätzen den jeweils anderen und seine Erziehung und lassen sich vom Kind nicht gegeneinander ausspielen.
Formulierungsbeispiele:

Wechselmodell

Die Eltern vereinbaren, die Kinder im sogenannten Wechselmodell zu betreuen. Die Kinder haben in den Wohnungen von Vater und Mutter gleich berechtigte Zuhause, in denen sie jeweils die Hälfte ihres Alltages verbringen. Im Einzelnen sieht dies wie folgt aus:
Die Mutter arbeitet in 14 Nächten/Monat als Krankenschwester. An diesen Tagen übernimmt der Vater die Betreuung der Kinder jeweils ab 15:00 Uhr in seinem Haushalt und bringt sie am nächsten Morgen zur Schule. Nach der Schule bis 15:00 Uhr versorgt die Mutter die Kinder in ihrem Haushalt. Fällt die Nachtschichtzeit auf ein Wochenende, verbringen die Kinder dieses Wochenende beim Vater.
An den übrigen Werktagen oder Wochenendtagen versorgt die Mutter die Kinder in ihrem Haushalt.Die Mutter wird ihren Schichtplan jeweils einen Monat im Voraus dem Vater mitteilen und evtl. Wechsel unverzüglich absprechen.Die Eltern verzichten auf eine detaillierte zeitliche Erfassung der Aufenthaltszeiten und treffen die Vereinbarung, dass dies als „echtes Wechselmodell“ i.S.d. Rechtsprechung gilt mit der Folge der Anwendung der entsprechenden Unterhaltsgrundsätze.

Oder:

Die Eltern vereinbaren, die Kinder im sogenannten Wechselmodell zu betreuen. Die Kinder haben in den Wohnungen von Vater und Mutter gleichberechtigte Zuhause, in denen sie jeweils die Hälfte ihres Alltages verbringen. Im Einzelnen sieht dies wie folgt aus:
In jeder geraden Kalenderwoche wohnt das Kind von Montag-Schulschluss bis zum darauffolgenden Montag-Schulbeginn bei der Mutter, in jeder ungeraden Kalenderwoche von Montag-Schulschluss bis zum darauffolgenden Montag-Schulbeginn beim Vater. Das Kind erhält von beiden elterlichen Wohnungen Schlüssel, um jederzeit Zugang zu der anderen Wohnung zu haben, um an seine Sachen zu gelangen. Die Eltern informieren einander mittels eines Buches, das das Kind immer bei sich führt, und in das besondere Vorkommnisse, Termine, Schulinformationen etc. eingetragen werden.

Oder:

Das Kind besucht werktags von 8:00–16:00 Uhr die Kindertagesstätte „Rasselbande“. Montags und dienstags holt die Mutter das Kind dort ab und lässt es bei sich übernachten, mittwochs und donnerstags holt der Vater das Kind dort ab und lässt es bei sich übernachten. Die Abholung freitags gehört zum Wochenende, die das Kind jeweils abwechselnd bei Vater und Mutter verbringt.

II. Auswirkungen des Wechselmodells auf den Kindesunterhalt:

Der „Düsseldorfer Tabelle“ liegt das Residenzmodell zugrunde, in dem ein Elternteil den Lebensmittelpunkt stellt und das minderjährige Kind betreut, während der andere nach der Höhe seines Einkommens barunterhaltspflichtig ist. Barunterhalt und Betreuungsunterhalt gelten als gleichwertig. Hat ein Kind im Residenzmodell „erweiterten Umgang“, so kann den Mehrkosten des Umgangselternteils und den Ersparnissen des Residenzelternteils dadurch Rechnung getragen werden, dass Herabstufungen vorgenommen werden. So sehen es auch die meisten Leitlinien vor. Das gilt bis zu einer 49:51-Aufteilung. Erst bei einer starren Grenze von 50 % Betreuungsanteil ändert sich die Handhabung. Insofern ist es im Rahmen von Elternvereinbarungen wesentlich, ob sie ihr Modell als Residenzmodell mit erweitertem Umgang ausgestalten oder als echtes Wechselmodell.

Feilscht bei den Verhandlungen um das Betreuungsmodell jemand um einzelne halbe Tage, so kann das unterhaltsmotiviert sein. Die bisherige Rechtsprechung, die bei bis zu 50,1 % Betreuungsanteil keine Verpflichtung zur Beteiligung am Barunterhalt annimmt, setzt nämlich Fehlanreize. Deckt man dieses Motiv auf, führt alternative Berechnungen durch und erreicht ein Entgegenkommen eines Elternteils auf finanzieller Ebene, kann dies Bewegung in die Verhandlung um das Betreuungsmodell bringen.

Praxistipp:

In der Verhandlung um diese Lebensmodelle sind die Parteien i.d.R. dankbar, wenn ihr Anwalt ihnen Anhaltspunkte geben kann, wie der Beitrag zum Bedarf der Kinder auf die Eltern gerecht verteilt werden kann.„Pendeln“ Kinder zwischen beiden Haushalten, so haben beide Eltern sowohl Betreuungsaufwand als auch Fixkosten. Dies gegeneinander so aufzuheben, dass kein Kindesunterhalt geschuldet ist, ist nur bei gleich hohem Erwerbseinkommen gerecht.
Anteilsquote der Eltern

Bis zu einer Betreuungsquote von 49 : 51 gilt die „Düsseldorfer Tabelle“ mit der Maßgabe, dass Abschläge gemacht werden können, wenn der Umgangselternteil Mehrkosten hat, die den Wohnsitzelternteil entlasten, vgl. BGH, Urteil vom 05.11.2014 – XII ZB 599/13, FamRZ 2015, 236.Die BGH-Lösung beim „echten Wechselmodell“ (also bei genau 50:50-Betreuung) knüpft demgegenüber an die Systematik beim Volljährigenunterhalt bzw. bei der Außer-Haus- Unterbringung an. Beide Eltern sind unterhaltsverpflichtet, und zwar im Verhältnis ihrer Einkünfte. Im ersten Schritt wird dazu der Bedarf des Kindes ermittelt, wozu das Gesamteinkommen der Eltern und die Düsseldorfer Tabelle als Maßstab dienen können. Die durch das Pendeln entstehenden Mehr-kosten müssen gesehen werden (z.B. zweifache Wohnfixkosten, Fahrtkosten, Mehrfachanschaffungen). Hierzu können neben den Fahrtkosten insbesondere erhöhte Unterkunftskosten gehören, weil der im Tabellenbetrag enthaltene – und in einigen unterhaltsrechtlichen Leitlinien (z. B. Nr. 21.5.2. der Süddeutschen Leitlinien) mit 20 % des Barunterhaltsanspruchs angesetzte
– Anteil für die Deckung des Wohnbedarfs des Kindes möglicherweise nicht auskömmlich ist, um die Kosten für die Vorhaltung von zwei eingerichteten Kinderzimmern in den Wohnungen der beiden Elternteile vollständig abzubilden. Für den so ermittelten Bedarf (Regelbedarf und etwaiger Mehrbedarf) haben die Eltern anteilig aufzukommen, wobei auf den Verteilungsmaßstab der Einkommens- und Vermögensverhältnisse (§ 1606 Abs. 3 Satz 1 BGB) zurückzugreifen ist. Weil zusätzlich zu berücksichtigen ist, dass die Eltern beim Wechselmodell einen Teil des Unterhalts in natura decken, findet ein unterhaltsrechtlicher Ausgleich zwischen den Eltern typischerweise nur in Form einer den Tabellenunterhalt nicht erreichenden Ausgleichszahlung statt. Man kann einen Teil des Bedarfs auch konkret anhand der bisherigen Erfahrungen während des Zusammenlebens ermitteln; insbesondere wenn eine Reihe von Fixkosten konkret dem Kind zuzuordnen sind durch besondere Hobbys, Versicherungen, Fremdbetreuungskosten, Schulgeld o.Ä. Der Beschluss des BGH vom 11.01.2017 (XII ZB 565/15, FamRZ 2017, 437; vgl. auch BGH, Beschl. v. 20.04.2016 – XII ZB 45/15, FamRZ 2016, 1053 m. Anm. Seiler) hat eine Reihe von Fragen zum Wechselmodell beantwortet, die in der Literatur diskutiert worden waren. Der BGH hat darin zusammengefasst, wie der Unterhalt im „echten Wechselmodell“ funktioniert und berücksichtigt auch das Kindergeld.

1. Im Fall des Wechselmodells haben grundsätzlich beide Elternteile für den Barunterhalt des Kindes einzustehen. Der Unterhaltsbedarf bemisst sich nach dem beiderseitigen Einkommen
2. der Eltern und umfasst außerdem die infolge des Wechselmodells entstehenden Mehrkosten (im Anschluss an Senatsbeschluss des BGH, Beschl. v. 05.11.2014 – XII ZB 599/13, FamRZ 2015, 236).
3. Der dem Kind von einem Elternteil während dessen Betreuungszeiten im Wechselmodell geleistete Naturalunterhalt führt nicht dazu, dass ein Barunterhaltsanspruch nicht geltend gemacht werden kann. Der geleistete Naturalunterhalt ist vielmehr nur als (teilweise)Erfüllung des Unterhaltsanspruchs zu berücksichtigen.
4. Der Unterhaltsanspruch kann in zulässiger Weise vom Kind gegen den besser verdienenden Elternteil geltend gemacht werden. Dass er sich auf den Ausgleich, der nach Abzug von den Eltern erbrachter Leistungen verbleibenden Unterhaltsspitze richtet, macht ihn nicht zu einem – nur zwischen den Eltern bestehenden – familienrechtlichen Ausgleichsanspruch.
5. Das Kindergeld ist auch im Fall des Wechselmodells zur Hälfte auf den Barbedarf des Kindes anzurechnen. Der auf die Betreuung entfallende Anteil ist zwischen den Eltern hälftig auszugleichen. Der Ausgleich kann in Form der Verrechnung mit dem Kindesunterhalt erfolgen (im Anschluss an Senatsbeschl. des BGH v. 20.04.2016 – XII ZB 45/15, FamRZ 2016, 1053 m. Anm. Seiler).Herausforderungen für den BeraterHerausforderungen für den Berater stellen dann noch folgende Konstellationen dar:

  • Ein Elternteil arbeitet Vollzeit, der andere nicht. Die Eltern müssen verhandeln, ob mit fiktivem Einkommen gerechnet werden soll oder ob es dem Wechselmodell dient, wenn ein Elternteil beruflich etwas flexibler ist und dafür z.B. Krankheitstage und Dienstreisen des Anderen auffangen kann, ohne dass dafür Ausgleich gezahlt werden müsste.
  • Ein Elternteil hat gleichrangige Unterhaltsberechtigte, was entweder wegen einer Mehrzahl von Unterhaltsberechtigten eine Herabstufung erfordern oder aufgrund Einkommens seines neuen Ehegatten eine höhere Leistungsfähigkeit als nur aus dem eigenen Einkommen bedeuten würde.
  • Ein Elternteil hat nachrangige Unterhaltsberechtigte (z.B. volljährige Kinder).
  • Die Liquiditätsprüfung ergibt aufgrund beengter Verhältnisse, dass sich ein Elternteil keine Wohnung leisten kann, in der für das Kind ein Kinderzimmer vorhanden wäre. Dieses Elternteil stünde im Residenzmodell wirtschaftlich besser da.
  • Die Begünstigung durch staatliche Leistungen (Alleinerziehendenfreibetrag, Alleinerziehendenzuschlag bei Hartz IV) ginge verloren.„Obhut“ i.S.v. § 1629 Abs. 2 Satz 2 BGB Verfahrensrechtlich gilt übrigens, dass es im Wechselmodell an einer „Obhut“ i.S.v. § 1629 Abs. 2 Satz 2 BGB fehlt. Dies hat zur Folge, dass keiner der Eltern Kindesunterhaltsansprüche gegen den anderen geltend machen kann. Als gleichberechtigte Lösung kann sich entweder ein Elternteil die Alleinentscheidungsbefugnis übertragen lassen oder es kann eine Ergänzungspflegschaft angeordnet werden (OLG Celle, Beschl. v. 09.12.2019 – 10 UF 270/19, NJW 2020, 1231). Außergerichtlich könnten die Eltern sich darauf einigen, das Jugendamt um eine faire Berechnung zu bitten.

Zusammenhang mit Ehegattenunterhalt:

Solange Ehegattenunterhalt nach Quote berechnet und der Kindesunterhalt vorweg abgezogen wird, ist die Aufteilung des Bedarfs eigentlich müßig. Aber: Hier geht es ja nicht nur darum, wie hoch der Bedarf ist und wer ihn speist, sondern auch darum, welcher elterliche Haushalt daraus über wie viel verfügen darf. Im Wechselmodell ist eine genaue Auseinandersetzung mit der Thematik daher unerlässlich.
Eine sehr individuelle Lösung ist das Kinderkonto. Gemeint ist nicht etwa das Taschengeldkonto der Kinder, sondern eines, zu dem die Eltern im Oder-Verhältnis Verfügungsbefugnis haben und das zur Deckung aller Bedarfslagen des Kindes haushaltsunabhängig dient, so z.B. zur Deckung von Fremdbetreuungskosten, Kosten für Vereine, Hobbys, Versicherungen, Buskarte, aber auch Kleidung. In der Praxis wird dies durch das Kindergeld und durch Überweisungen eines oder beider Eltern gespeist, von dort werden alle Fixkosten für die Kinder überwiesen, beide Eltern sind verfügungsberechtigt und beide können die Umsätze des Kontos z.B. online einsehen.

Praxistipp:

In der Praxis bietet sich für die Eltern häufig folgende pragmatische Handhabung an:
1. Zuerst schätzen die Eltern gemeinsam den tatsächlichen Bedarf der Kinder, unterteilt nach den haushaltsunabhängigen Fixkosten und nach den beiden Haushalten.
2. Sodann gleichen sie mit den o.g. unterschiedlichen Methoden ab, ob die Größenordnung passt und ob ihnen die evtl. Abweichung nachvollziehbar erscheint.
3. Eventuell wird ein Überprüfungstermin der Vereinbarung nach drei oder sechs Monaten vereinbart, um die praktischen Erfahrungen auszuwerten. Wer sich den Herausforderungen des Wechselmodells stellen will, kann i.d.R. auch hierfür eine Lösung verhandeln.

III. Auswirkungen des Wechselmodells auf § 1687 BGB

§ 1687 BGB regelt die „Alleinentscheidungsbefugnis in Angelegenheiten des täglichen Lebens“ zunächst vor dem Hintergrund des Residenzmodells: „... der Elternteil, bei dem sich das Kind ... gewöhnlich aufhält“ (§ 1687 Abs. 1 Satz 2 BGB). Mit § 1687 Abs. 1 Satz 4 BGB wird dem Umgangsberechtigten die „Befugnis zur alleinigen Entscheidung in Angelegenheiten der tatsächlichen Betreuung“ zugestanden.Im Wechselmodell ist i.d.R. weder der „gewöhnliche Aufenthalt“ eindeutig, noch verläuft die Grenze zwischen „Angelegenheiten des täglichen Lebens“ und „Angelegenheiten der tatsächlichen Betreuung“ scharf genug. Im Wechselmodell werden beide Seiten zudem ein höheres Bedürfnis nach gemeinsamen Entscheidungen haben als im Residenzmodell, weil die Auswirkungen von Entscheidungen häufiger den jeweils anderen mitbetreffen.

Praxistipp:

Für den Vertrag ist daher anzuraten, dass die Eltern in Anlehnung an § 1687 BGB eine gleichberechtigte Formulierung finden.
Formulierungsbeispiel
Regelung der Entscheidungsbefugnisse: Jeder Elternteil kann in allen Angelegenheiten des täglichen Lebens und der tatsächlichen Betreuung, die nur seine Zeit mit dem Kind betreffen, allein entscheiden. Alle übrigen Entscheidungen müssen einvernehmlich getroffen werden. Ist Gefahr im Verzug, kann jeder Elternteil allein entscheiden, muss den anderen aber unverzüglich informieren.

IV. Wechselmodell und Einwohnermeldeamt/Wohnsitz:

Zwar kann ein Wohnsitz gleichzeitig an mehreren Orten bestehen (§ 7 Abs. 2 BGB), aber melderechtlich ist eine der Wohnungen laut § 21 Abs. 1 BMG die Hauptwohnung. Das Bundesmeldegesetz vom 03.05.2013 (BGBl I, 1084), in Kraft seit 01.11.2015, hat in § 22 Abs. 3 eine Abgrenzungshilfe: „In Zweifelsfällen ist die vorwiegend benutzte Wohnung dort, wo der Schwerpunkt der Lebensbeziehungen des Einwohners liegt“. Insoweit ist aber auch nicht vorgesehen, dass die Lebensbeziehungen eines Menschen an zwei Orten gleichwertig sein können.
Das BVerwG hatte im Urteil vom 30.09.2015 – 6 C 38.14 (NJW 2016, 99) Gelegenheit, sich mit der Doppelwohnsitzfrage zu befassen. Es ging um Kinder im Wechselmodell und um das Anliegender Eltern, dass sie zwei gleichberechtigte Wohnsitze haben sollten. Das BVerwG sucht auch in solchen Fällen „angestrengt“ nach irgendeinem „Schwerpunkt der Lebensbeziehungen“ (BVerwG, Urt. v. 30.09.2015 – 6 C 38.14):
Auch wenn die getrenntlebenden Eltern eines minderjährigen Kindes das Sorgerecht im paritätischen Wechselmodell ausüben, ist im melderechtlichen Sinne die Wohnung nur eines der Elternteile die Hauptwohnung des Kindes. In Zweifelsfällen sei die überwiegend genutzte Wohnung dort, wo der Schwerpunkt der Lebensbeziehungen liegt. Die Unterscheidung von Haupt- und Nebenwohnung nach diesen objektiven Kriterien diene dazu, einen eindeutigen Anknüpfungspunkt für die Zuständigkeit zahlreicher Behörden sowie für Rechte und Pflichten festzulegen, welche an die Wohnung einer Person gebunden sind. Die geboteneUnterscheidung zwischen Hauptwohnung und Nebenwohnung sei für den Vollzug des Meldegesetzes auch dann möglich, wenn die getrenntlebenden Eltern eines minderjährigen Kindes das Sorgerecht im paritätischen Wechselmodell ausüben. Zwar lasse sich dann regelmäßig nicht feststellen, welche Wohnung das minderjährige Kind überwiegend nutzt und wo der Schwerpunkt seiner Lebensbeziehungen liegt. In diesem Fall obliege es den sorgeberechtigten Eltern, gemeinsam eine ihrer Wohnungen als Hauptwohnung des Kindes zu bestimmen. Könnten sie sich nicht einigen, sei Hauptwohnung die Wohnung desjenigen Elternteils, dessen Wohnung bislang Hauptwohnung oder alleinige Wohnung des Minderjährigen war. Die Wohnung des anderen Elternteils sei als weitere Wohnung Nebenwohnung. Hier konnte das BVerwG den Fall willkürlich mit der Anknüpfung an den früheren Familienwohnsitz lösen – wäre aber mit diesem Ansatz gescheitert, wenn dieser aufgegeben worden wäre, beide Eltern sich neue Wohnungen gesucht hätten und die Kinder im wöchentlichen Wechsel nirgends fester verwurzelt wären als anderswo.

Praxistipp:

Im Rahmen vertraglicher Verhandlungen müssen die Eltern sich darüber im Klaren sein, dass am ersten Wohnsitz des Kindes zwingende rechtliche Folgen hängen:

  • die Kindergeldberechtigung
  • der Alleinerziehendenfreibetrag (Steuerklasse 1)
  • u.U. die Zuweisung oder Berechtigung zu einer bestimmten Schule/einem bestimmten Kindergarten
  • u.U. die Berechtigung zu einer öffentlich finanzierten ÖPNV-Schülerfahrkarte

V. Wechselmodell und Kindergeld:

Der BGH hat für die Verteilung des Kindergeldes im Wechselmodell in der Entscheidung vom 20.04.2016 – XII ZB 45/15, FamRZ 2016, 1053 m. Anm. Seiler – eine sogenannte „Viertellösung“ entwickelt. Das staatliche Kindergeld ist eine vorweggenommene Steuervergütung für Eltern. Anspruchsberechtigt ist immer nur ein Elternteil, und zwar der, bei dem das Kind den Lebensmittelpunkt hat.
Können die Eltern sich nicht einigen, z.B. beim Wechselmodell, trifft das Familiengericht eine für die Familienkasse bindende Entscheidung. Der BGH hat für diese Fälle einen sogenannten „familienrechtlichen Ausgleichsanspruch“ kreiert, der nicht im Gesetz steht. Der Anspruch eines Elternteils auf Ausgleich des dem anderen Elternteil gezahlten Kindergeldes ist ein Unterfall des familienrechtlichen Ausgleichsanspruchs. In Normalfällen wird dieser aber durch § 1612b Abs. 1 BGB verdrängt.
Im Wechselmodell gilt § 1612b Abs. 1 BGB nicht. Nach § 1612b Abs. 1 Nr. 1 BGB ist das auf das Kind entfallende Kindergeld zur Hälfte zur Deckung seines Barbedarfs zu verwenden, wenn ein Elternteil i.S.v. § 1606 Abs. 3 Satz 2 BGB seine Unterhaltspflicht durch Betreuung des Kindes erfüllt. In allen anderen Fällen erfolgt die Anrechnung des Kindergeldes gem. § 1612b Abs. 1 Nr. 2 BGB in voller Höhe auf den Barbedarf. Die Anrechnungsregel des § 1612b Abs. 1 Nr. 1 BGB ist auf Fälle getrenntlebender Eltern zugeschnitten, in denen (nur) einer der beiden Elternteile das minderjährige Kind betreut, während der andere zur Zahlung des Barunterhalts verpflichtet ist. Mit der Auffangvorschrift des § 1612b Abs. 1 Nr. 2 BGB wollte der Gesetzgeber ausweislich der Begründung des Gesetzentwurfs hingegen solche Fälle in den Blick nehmen, in denen das Kind entweder wegen Volljährigkeit einer Betreuung nicht mehr bedarf oder die Betreuung eines minderjährigen Kindes (etwa bei Fremdunterbringung) nicht wenigstens durch einen der beiden Elternteile erfolgt und deshalb von ihnen nur Barunterhalt zu leisten ist. Keine dieser beiden Konstellationen, die der Gesetzgeber den beiden Anrechnungsregeln des § 1612b Abs. 1 BGB zugrunde gelegt hat, liegt bei einem Wechselmodell vor. Indessen beruht die gem. § 1612b Abs. 1 Nr. 1 BGB vorgesehene Halbanrechnung des Kindergeldes auf der grundlegenden gesetzgeberischen Erwägung, dass betreuende Elternteile mit der anderen Hälfte des Kindergeldes bei der Erbringung ihrer Betreuungsleistungen unterstützt werden sollen.
Dieser Zweck wird, was letztlich auch das Beschwerdegericht im vom BGH entschiedenen Fall nicht anders sieht, bei der gleichwertigen Betreuung des Kindes durch beide Elternteile im Rahmen eines Wechselmodells nicht verfehlt. Eine Vollanrechnung des gesetzlichen Kindergeldes auf den Barunterhaltsbedarf würde zudem dazu führen, dass der Kindergeldausgleich im Hinblick auf die im Wechselmodell gleichwertig erbrachten Betreuungsleistungen zugunsten des besserverdienenden Elternteils verzerrt würde.Die Anrechnung des staatlichen Kindergeldes auf den Barbedarf des Kindes nach Maßgabe des§ 1612b Abs. 1 BGB ist auch bei beiderseitiger Barunterhaltspflicht im Wechselmodell zwingend.
Wie sich bereits aus seinem Wortlaut ergibt („in allen anderen Fällen“), liegt dem Gesetz die Konzeption zugrunde, dass das gezahlte Kindergeld stets – je nach Sachverhaltsgestaltung entweder zur Hälfte oder vollständig – zweckgebunden als Einkommen des Kindes zu behandeln ist und deshalb ein bedarfsmindernder Vorwegabzug des Kindergelds vom Barunterhalt stattzufinden hat. Eine Kindergeldverteilung, die sich – wie die vom Beschwerdegericht für richtig befundene einkommensunabhängige Halbteilung zwischen den Elternteilen – von jeder Anrechnung des Kindergeldes auf den Barunterhaltsbedarf des Kindes löst, lässt sich mit dem Gesetz insoweit nicht in Einklang bringen.Etwas anderes kann auch nicht aus § 1606 Abs. 3 Satz 2 BGB hergeleitet werden.
Die hälftige Anrechnung des Kindergeldes auf den Barbedarf des Kindes nach § 1612b Abs. 1 Nr. 1 BGB hat beim Wechselmodell zur notwendigen Folge, dass der besserverdienende Elternteil durch das Kindergeld in einem größeren Umfang entlastet wird. Ist der schlechter verdienende Elternteil unterhaltsrechtlich nicht leistungsfähig, kommt der auf den Barunterhalt entfallende Anteil des Kindergeldes infolge der Anrechnung allein dem leistungsfähigen Elternteil zugute. Dem kann auch nicht ohne weiteres entgegengehalten werden, dass beim Wechselmodell auch der leistungsunfähige Elternteil – worauf das Beschwerdegericht im vom BGH entschiedenen Fall hingewiesen hat – in der Zeit, in der sich das Kind in seinem Haushalt aufhält, jedenfalls durch Wohnungsgewährung und Verpflegung Naturalunterhaltsleistungen erbringt. Denn Wohnungsgewährung und Verpflegung, die dem Kind beim Wechselmodell durch einen Elternteil zuteil werden, erfassen nur einen (relativ) geringen Teil des – im Übrigen allein vom leistungsfähigen Elternteil aufzubringenden – sächlichen Gesamtbedarfs des Kindes. Es erscheint deshalb ebenfalls nicht angemessen, den in einem deutlich größeren Umfang zum Barunterhalt herangezogenen Elternteil wirtschaftlich lediglich durch die Hälfte des auf den Barunterhalt entfallenden Anteils am Kindergeld zu entlasten. Die sich daraus ergebenden Wertungskonflikte hat das Gesetz durch die Anrechnungsregel des § 1612b Abs. 1 Nr. 1 BGB zugunsten des Elternteils aufgelöst, der sich aufgrund seines höheren Einkommens in größerem Umfang am Barunterhalt für das Kind beteiligen muss.Verlangt der nicht kindergeldbezugsberechtigte Elternteil insoweit die Hälfte des auf den Barunterhalt entfallenden Kindergeldanteils, ist es grundsätzlich seine Sache, die Haftungsanteile der Eltern am Barunterhalt darzulegen und zu beweisen. Eine solche Darlegung wird zudem i.d.R. einen gesonderten Kindergeldausgleich entbehrlich machen, weil dann eine Gesamtabrechnung über den unterhaltsrechtlichen Ausgleich zwischen den Eltern unter An- und Verrechnung des an einen Elternteil gezahlten Kindergeldes möglich ist. Ein Anspruch auf hälftige Auskehrung des auf den Barunterhalt entfallenden Kindergeldanteils wird beim Wechselmodell auch dann in Betracht kommen, wenn beide Elternteile nicht leistungsfähig sind.
Anders verhält es sich mit dem auf den Betreuungsunterhalt entfallenden Anteil am Kindergeld.
Dieser steht den Elternteilen beim Wechselmodell aufgrund der von ihren gleichwertig erbrachten Betreuungsleistungen hälftig zu. Zu weiteren praktischen Auswirkungen zum Kindergeldausgleich im Wechselmodell: Wegener, FamRZ 2019, 1021.
Das bedeutet im Ergebnis:
Der Vater konnte im vom BGH entschiedenen Fall die Auskehrung eines Viertels des Kindergeldes – nämlich die Hälfte des auf den Betreuungsunterhalt entfallenden Anteils am Kindergeld – verlangen.
Der familienrechtliche Ausgleichsanspruch unterliegt jedoch für die Vergangenheit der Schranke des § 1613 Abs. 1 BGB, so dass dies rückwirkend erst ab Inverzugsetzung gilt. Ihre Fixkosten konnte die Mutter nicht gegenrechnen, weil völlig unklar war, in welcher Höhe sie diese sowieso als Unterhalt hätte tragen müssen.

VI. Wechselmodell: kein Unterhaltsvorschuss

Vereinbaren Eltern mit beengten wirtschaftlichen Verhältnissen ein Wechselmodell, so müssen sie sich darüber bewusst sein, dass keiner von beiden als „alleinerziehend“ i.S.d. UVG gilt und Unterhaltsvorschuss beantragen kann. Durch das UVG wollte der Gesetzgeber den Schwierigkeiten begegnen, die alleinstehende Elternteile und ihre Kinder haben, wenn sich ein Elternteil den Zahlungsverpflichtungen gegenüber dem unterhaltsberechtigten Kind entzieht, hierzu ganz oder teilweise nicht in der Lage ist oder ein Elternteil verstorben ist (vgl. BT-Drucks. 8/1952, S. 1).
Ein Kind lebt i.S.d. § 1 Abs. 1 Nr. 2 UVG bei einem seiner Elternteile, wenn es mit ihm eine auf Dauer angelegte häusliche Gemeinschaft unterhält, in der es auch betreut wird. Dem Sinn und Zweck des UVG entsprechend ist das Merkmal nur dann erfüllt, wenn der alleinstehende leibliche Elternteil wegen des Ausfalls des anderen Elternteils die doppelte Belastung mit Erziehung und Unterhaltsgewährung in seiner Person zu tragen hat. Abgrenzungsprobleme entstehen, wenn das Kind – wie im Fall, den das BVerwG zu entscheiden hatte (BVerwG, Urt. v. 11.10.2012 – 5 C 20.11) die Kinder des Klägers – regelmäßig einen Teil des Monats auch bei dem anderen Elternteil verbringt. Für die Beantwortung der Frage, ob das Kind in derartigen Fällen nur bei einem seiner Elternteile lebt, ist, wie das Verwaltungsgericht zutreffend erkannt hat, entscheidend auf die persönliche Betreuung und Versorgung, die das Kind bei dem anderen Elternteil erfährt, und die damit einhergehende Entlastung des alleinerziehenden Elternteils bei der Pflege und Erziehung des Kindes abzuheben. Trägt der den Unterhaltsvorschuss beantragende Elternteil trotz der Betreuungsleistungen des anderen Elternteils tatsächlich die alleinige Verantwortung für die Sorge und Erziehung des Kindes, weil der Schwerpunkt der Betreuung und Fürsorge des Kindes ganz überwiegend bei ihm liegt, so erfordert es die Zielrichtung des UVG, das Merkmal „bei einem seiner Elternteile lebt“ als erfüllt anzusehen und Leistungen nach dem UVG zu gewähren. Wird das Kind hingegen weiterhin auch durch den anderen Elternteil in einer Weise betreut, die eine wesentliche Entlastung des den Unterhaltsvorschuss beantragenden Elternteils bei der Pflege und Erziehung des Kindes zur Folge hat, ist das Merkmal zu verneinen (so BVerwG, Urt. v. 11.10.2012 – 5 C 20.11).

VII. Wechselmodell und Hartz IV-Alleinerziehenden-Mehrbedarf?

Wechseln sich getrennt wohnende Eltern bei der Pflege und Erziehung eines gemeinsamen Kindes in größeren, mindestens eine Woche umfassenden zeitlichen Intervallen ab, und teilen sie auch die Kosten etwa hälftig, besteht ein Anspruch auf den hälftigen Mehrbedarf für Alleinerziehende (BSG, Urt. v. 11.07.2019 – B 14 AS 23/18 R, FamRZ 2020, 382, Rdnr. 16; BSG, Urt. v. 03.03.2009 – B 4 AS 50/08 R, FamRZ 2009, 1214). Damit ist für das Grundsicherungsrecht der familienrechtlichen Wertung Rechnung getragen, wonach insbesondere beim Anspruch auf den Barunterhalt ausnahmsweise dann nicht zwischen einem (überwiegend) betreuenden und einem (überwiegend) auf die Ausübung des Umgangsrechts beschränkten Elternteil zu unterscheiden ist, wenn ein Kind in etwa gleich langen Phasen abwechselnd jeweils bei dem einen und dem anderen Elternteil lebt (sog. Wechselmodell, BSG,Urt. v. 12.11.2015 – B 14 AS 23/14 R; Harich, jurisPR-SozR 20/2015, Anm. 2; Gagel/Düring, 84. EL Stand Dezember 2021, SGB II, § 21 Rdnr. 22).

Das BSG führte zum Zweck des Mehrbedarfs aus: Alleinerziehende haben wegen der Sorge für ihre Kinder weniger Zeit, preisbewusst einzukaufen und müssen zugleich höhere Aufwendungen zur Kontaktpflege und zur Unterrichtung in Erziehungsfragen tragen. Alleinerziehende mit noch nicht schulpflichtigen Kindern sind zudem weniger mobil, müssen die nächstgelegen Einkaufsmöglichkeit nutzen und haben ein höheres Informations- und Kontaktbedürfnis. Zweck des Mehrbedarfs ist es deshalb, den höheren Aufwand des alleinerziehenden Elternteils für die Versorgung und Pflege bzw. Erziehung der Kinder etwa wegen geringer Beweglichkeit und zusätzlichen Aufwendungen für Kontaktpflege oder Inanspruchnahme von Dienstleistungen Dritter in pauschalierter Form auszugleichen. Im Fall des wöchentlichen Betreuungswechsels, den das BSG zu entscheiden hatte, tritt nach Ansicht des BSG in derjenigen Woche, in der sich das Kind der klagenden Mutter bei dem Vater aufhält, keine finanzielle oder sonst wie geartete Entlastung in einem Umfang ein, dass die Zuerkennung eines Mehrbedarfs nicht gerechtfertigt wäre. Während des jeweils eine Woche umfassenden Zeitraums der Betreuung des Kindes durch die Mutter sorgt diese allein für seine Pflege und Erziehung. Ihr entstehen während dieses Zeitraums infolge der Sorge für das Kind die dem pauschalierten Mehrbedarf zugrundeliegenden erhöhten Aufwendungen. Eine finanzielle Entlastung tritt insoweit nicht ein, weil sich die Eltern die Kosten nach der getroffenen Vereinbarung in etwa hälftig teilen. In der Betreuungswoche wirkt sich die fehlende Arbeitsteilung mit einem Partner nach wie vor erheblich aus. Die erhöhten Aufwendungen, z.B. für kostenaufwendigere Einkäufe und die Kosten der Kinderbetreuung zur Aufrechterhaltung der Außenkontakte, lassen sich in Fällen wie dem vom BSG entschiedenen, in denen sich das Kind mindestens eine Woche bei dem einen, die andere Woche bei dem anderen Elternteil aufhält, nicht außerhalb der Betreuungszeit im erforderlichen Umfang kompensieren. Daher hält es das BSG für geboten, in Fällen dieser Art den Mehrbedarf zur Hälfte anzuerkennen. Denn es könne nicht außer Acht gelassen werden, dass die klagende Mutter durch das Wechselmodell während des anderen Zeitraums, in dem der andere Elternteil für die Pflege und Erziehung des Kindes sorgt, keinen erhöhten Aufwendungen ausgesetzt sei.
Die BSG-Rechtsprechung hat nicht zwingend für alle Formen von Wechselmodellen Bedeutung. Entschieden wurde nur der Fall, in dem das Kind immer mindestens eine Woche am Stück bei einem lebt. Sind die Intervalle des Wechselns kürzer, lebt das Kind beispielsweise von Montag bis Donnerstagmittag bei der Mutter und von Donnerstagmittag bis Sonntag beim Vater, bekommen die Eltern den Mehrbedarf vielleicht nicht. Voraussetzung ist immer, dass sich die Eltern die Betreuung des Kindes und die Kosten in etwa gleichmäßig teilen. Wenn ein Elternteil weniger als die Hälfte der Zeit für die Pflege und Betreuung des Kindes zuständig ist, steht der Mehrbedarf nach Ansicht des BSG allein dem anderen Elternteil zu.

VIII. Wechselmodell und Beamten-Familienzuschlag

Genau anders als im Sozialrecht kann für Beamte eine Verdoppelung von Zulagen die Folge sein: Hier kann die Vereinbarung eines Wechselmodells nach sich ziehen, dass beide Eltern (wenn beide Beamte sind) den kinderbezogenen Familienzuschlag als zusätzlichen Gehaltsbestandteil beanspruchen können. So entschied das BVerwG (v. 27.03.2014 – 2 C 2.13): „Bei geschiedenen Beamten, deren Kind bei beiden Elternteilen zu gleichen Anteilen im wöchentlichen Wechsel wohnt, kann der jeweils entstehende Mehrbedarf die Gewährung des vollen kinderbezogenen Familienzuschlag rechtfertigen.“

Ihr Rechtsanwalt für Familienrecht in Hoyerswerda
Frank Durda


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